Vaters Briefe

O.U. , 21.8.44
Mein kleiner Liebling!
Heute war ich sehr froh, als ich Deinen Brief ohne Nr. vom 17.8. erhielt mit der Nachricht, daß Ihr etwas von Gerhard gehört habt. Das riß mich direkt etwas hoch seit dem gestrigen Tag. Von unserem stolzen Batl. ist nämlich nicht mehr viel da. Ich war gerade gestern in der Stellung (Sonntag), als der tollste aller Tänze, die ein Soldat erleben kann, begann. Eine Stunde überfütterte uns ein unermeßlicher Hagel von Artillerie, Granaten u. Stalinorgeln; zu guterletzt erfolgten dann pausenlose Tieffliegerangriffe, es war einfach entsetzlich. Und als dann das russ. Feuer zurückverlegt wurde, also von uns weiter weg, war die durchgebrochene Infanterie schon da. Mir gab der Kdr. die Geheimsachen u. sagte noch: „Sehen Sie zu, daß sie schnell nach rückwärts kommen!“ Wir mußten alle zurück gehen, an der rechten Flanke war der Iwan schon vor uns, aber ich konnte mich – gut, daß ich Sportler bin u. einen guten Atem hatte – mit einigen Kameraden meiner Einheit nach links verdrücken.

Jetzt komme ich gerade von der Beerdigung meines Kdrs. Während wir uns durch die feindl. Tiefflieger durchschlagen konnten, hatten die anderen mit der russ. Infanterie zu tun. Der Adj. wurde auch schwerverwundet, ich konnte mich gerade am Hauptverbandplatz von ihm verabschieden. Mein Freund Albert führte dann unsere Einheiten bzw. ihre Reste zum Gegenstoß und wurde auch noch – aber zum Glück leicht – verwundet. Diesen 20. August werde ich so leicht nicht vergessen, schlimmeren Schlachtenlärm hat noch keiner, auch der älteste Ostkämpfer nicht, mitgemacht. Aber Glück muß man haben und so fühle ich mich heute wieder ganz wohl, wenn mir auch die Knie noch etwas weich sind. Du siehst daran, daß es nicht immer meine Schuld ist, wenn ich nicht schreibe. Ich fühle mich wie neugeboren, da ich sicher hier am Abend meinen Brief schreiben kann.

Schön u. wie aus einer anderen Welt klingen deine Schilderungen während deiner neuen Krankheit, der „Angina!“ Wenn ich nur auch im Bett liegen könnte und gar bis ½ 9 Uhr, dazu noch Kaffee trinken und Zeitung lesen (an dich habe ich dabei noch gar nicht gedacht, wenn ich mir dich noch dabei vorstelle, wie du mir Kaffee ans Bett bringst und bei mir bleibst, werde ich ganz verdreht und konfus).

Wo ich bin, Liebling? 39 km ostw. von Radom; zwischen Zwolen u. der Weichsel; wer weiß aber, wie lange noch. Ich gebe, trotzdem wir stark angeschlagen sind, nicht die Hoffnung auf, daß mancher zurückkehrt, natl. auch Ersatz, damit es wieder vorwärts gehen kann.

Ich habe jetzt weiter keine Lust zum Schreiben, obwohl ich doch langsam an deinen Geburtstag denken müßte. Draußen fängt auf einmal wieder tolles Art.-Feuer an, es ist jedoch noch 3 km weg, so daß die Brocken nicht unmittelbar hier fliegen können. Hier muß man nur die Flieger fürchten, die auf alles schießen, 2 Stück kamen aber heute hier heruntergetrudelt, die Flak hatte einmal getroffen. Ich muß jetzt noch einigen Angehörigen schreiben, was ich unsagbar ungern mache; und jetzt fehlen mir noch 2 Funker, die vielleicht in des Gegner Hand gefallen sind, die armen Angehörigen! Aber erst mal warten und hoffen!
Leb wohl, Mausilein, es drückt dich zart und lieb und küßt dich –
wenn du nicht zu frech bist – Dein Georg

Anliegende Karte leite doch bitte an Hellmut weiter, ich
weiß sein Adresse nicht. Aber nicht lesen oder Eve zeigen!!!

Scroll Up